Die Jeckes

Salonzionisten

„Jeckes“ ist keinesfalls eine Bezeichnung für rheinische Karnevalisten, sondern ein umgangssprachlicher Ausdruck für die deutschen Juden, die in der Zeit nach 1933 aus dem nationalsozialistischen Deutschland nach Palästina geflohen sind. Den Namen Jeckes bekamen die deutschen und kulturdeutschen Einwanderer von den osteuropäischen Pionieren. Batya Schutz

Ursprünglich war „Jecke“ eine abschätzige Bezeichnung. Die von der deutschen Kultur geprägten deutschsprachigen Juden galten als förmlich, pedantisch und steif. Von den osteuropäischen Pionieren der Yishuv wurden sie mit Argwohn betrachtet. In ihren Augen sollte der hebräische Jude so nicht sein.

Im Gegensatz zu den Pionieren verkörperten die deutschen Juden sogenannte Salon-Zionisten, für die eine tatsächliche Übersiedlung nicht infrage kam. Sie galten als schwer zu integrieren, da sie als Vertriebene nicht freiwillig nach Palästina eingewandert waren.

Mit der Einwanderungswelle ab 1933 lebten im Yishuv sodann – entsprechend einem Witz aus jener Zeit – neben Immigranten aus Überzeugung auch jene, die schweren Herzens, notgedrungen aus Deutschland kamen. In Wirklichkeit war das Verhältnis der Einwanderer aus Deutschland zum Zionismus (Jüdische Heimstätte) sehr vielfältig.

Die 1922 in Berlin geborene Shoshana Gumpert, geb. Weltsch, erzählt, dass sie bereits mit fünf Jahren zionistisch gedacht habe. Ihr Vater Robert Weltsch war der Redakteur der Jüdischen Rundschau, der im April 1933 als Reaktion auf den Boykotttag der Nazis den berühmten Artikel „Tragt ihn mit Stolz, den gelben Fleck“ geschrieben hat. Robert Weltsch wurde in Prag geboren und kämpfte im Ersten Weltkrieg für Deutschland. 1938 wanderte er mit seiner Tochter Shoshana nach Palästina aus. Die junge Frau schloss sich bald der deutschen Mittelstandssiedlung Kfar Shmeriyahu (deutsche Mittelstandssiedlungen) an und wohnte bei der zionistisch eingestellten Familie Gumpert, deren Sohn Hans sie später heiraten sollte.
Trotz ihrer zionistischen Einstellung unterhielten sich die Eheleute auf Deutsch.

Die deutsche Sprache

Die größte Herausforderung für die deutschen und kulturdeutschen Juden in ihrer neuen Heimat stellte die Sprache dar. Eines der zentralen Anliegen im Yishuv war es, das Hebräische zu etablieren. Viele Juden aus Deutschland, Österreich und der Tschechoslowakei hatten allerdings erhebliche Schwierigkeiten, die komplizierte hebräische Sprache zu erlernen. Somit wurde innerhalb der Familien oftmals weiterhin Deutsch gesprochen. Auch Inge Stern sprach mit ihren Kindern Deutsch. Inge Stern

Im Oktober 1934 erschien im Mitteilungsblatt, der Zeitung der Vereinigung der Deutschen Einwanderer (Hitachduth Olej Germania), der Aufruf „Lernt Hebräisch!“. Auf der Straße wurden die deutschen Einwanderer angefeindet, wenn sie sich in ihrer Muttersprache unterhielten. Das Mitteilungsblatt rief in drei aufeinanderfolgenden Ausgaben die Einwanderer aus Deutschland eindringlich dazu auf, sich im öffentlichen Raum nicht auf Deutsch zu unterhalten. Auch Batya Schutz kann von Anfeindungen erzählen.

Kulturlandschaft

In Palästina prallten die völlig unterschiedlichen Lebenswelten der Juden aus dem Westen und dem Osten Europas nicht zum ersten Mal aufeinander, dieses Mal jedoch unter umgekehrten Vorzeichen: Seit den 1880er-Jahren waren die Juden aus dem Westen als assimilierte Stadt- und Bildungsbürger bereits mit den aus dem Osten geflohenen Juden konfrontiert. In Palästina dagegen wanderten die jüdischen Bildungsbürger aus dem Westen in ein von osteuropäischen Juden dominiertes Kulturgefüge ein. „Ein Abgrund trennte den emotionalen, um nicht zu sagen, sentimentalen Stil des russischen Theaters von der Rationalität des deutschen Theaters jener Tage“, schreibt Professor Tom Lewy 2014 in der Reihe „Die Jeckes und das hebräische Theater“ im Yakinton (dem Nachfolger des Mitteilungsblattes) (Elternheim), über die Schwierigkeiten der deutschen Juden mit dem Nationaltheater Habima. Die jungen Idealisten der Habima sahen im Theater ein „Mittel im Kampf um die Auferstehung der hebräischen Sprache und der jüdischen Nationalität“. Im Mitteilungsblatt verglich Margot Klausner schon im Dezember 1934 ernüchternd den Besuch der Habima in Europa und in Palästina: „Als die Habima vor einigen Jahren in Europa spielte, bedeutete sie das entscheidende jüdische Erlebnis für große Kreise der Judenheit.“ – „Genau wie der Palästina-Gedanke war dieses Theater für die Juden des Westens zwar ein schönes, beglückend fremdes Ideal; es verpflichtete aber zu nichts Tatsächlichem.“ Weiter: „Palästina ist für viele Juden des Westens zum buchstäblichen Lebensinhalt geworden. Das Fremde ist allzu nahe gekommen und das Schöne daran verloren gegangen.“

Brücke in die Vergangenheit

Herzstück ihres kulturellen Lebens in der neuen Heimat war den Jeckes die Kammermusik. Professor David Witzhum vermerkt in seinem Aufsatz „Das Kostbarste der Jeckes-Seele: die Kammermusik“ im Yakinton 09/2007 über „die Geheimsekte der Kammermusiker“: „Ein Außenseiter könnte die Tiefe des Erlebnisses und die Serie seltsamer kleiner Zeremonien, die das esoterische Tun begleiten, kaum verstehen.“ Über die Kammermusik als Tradition der Jeckes berichtet er, dass nicht die Kammermusik an sich von Sehnsucht spräche, sondern das Zeremoniell, das sie umgebe. Es gehe auch darum, eine geistige Welt „nach dem Muster der in Berlin, Heilbronn, Linz oder Prag verlassenen Häuslichkeit wiederaufzubauen“.

Im Film „Nahariade“ des Museums Tefen über das musikalische Erbe von Naharia sagt Andreas Meyer einleitend, dass der Jecke ein Jude sei, der in einer Vergangenheit lebe, die nie eine Zukunft hatte.

Um die deutsche Kultur hochzuachten, brauchte es die Naivität, diese Kultur von dem Land und der Gesellschaft, die sie hervorgebracht hatte, zu trennen. Gideon Moser ist 1921 in Berlin geboren, wo sein Vater Julius Moser nahe der Möckernbrücke eine Verleihwäscherei besaß. Obwohl er Deutschland den Rücken kehren musste, bevor es zur Mördergrube ohne Entrinnen wurde, hörte er nie auf, die deutsche Kultur zu lieben.
Extra

Widersprüche

Die Geschichte der deutschsprachigen Einwanderer ist eine Geschichte von Affirmation und Ablehnung.

Tim N. Gidal, selbst deutschstämmiger Einwanderer, betont, dass es einen großen Unterschied gebe „zwischen den Juden deutscher Abstammung, die in Israel leben, und denen aus anderen Ländern. Die Juden sind Juden und die Jecken sind Jecken.“

Lilit Pavel ist in Stettin geboren, wo sie auf das Auguste-Victoria-Gymnasium ging und später an der Universität Musik und Philosophie studierte. Nach der Machtübernahme der Nazis wanderte sie 1933 mit ihrem Mann Hanan nach Palästina aus. Hanan hatte eine Anstellung als Architekt in Tel Aviv gefunden und wurde nach einigen Jahren Stadtplaner. Bis zu ihrer Ankunft im Yishuv hießen die beiden Heinz und Lotte. Lilit betont, als Zionistin nach Palästina gekommen zu sein, und wies die Behauptung, in Palästina hätten sich zu den Juden aus Überzeugung solche aus Deutschland gesellt, empört zurück.

In seinem Elternhaus sei Deutsch gesprochen und Mittagsruhe gehalten worden, erzählt ihr Sohn Dan, der 1938 geboren ist. Erst als er in die Schule gekommen sei, hätten seine Eltern angefangen, sich mit ihm auf Hebräisch zu unterhalten.

Ihre widersprüchlichen Gefühle gegenüber ihrer alten und der neuen Heimat verarbeitete Lilit Pavell in ihrer Dichtung. Obwohl sie zu Hause Deutsch sprach, war es ihr lange Zeit unmöglich, Gedichte auf Deutsch zu verfassen. Ihr erstes deutsches Gedicht hat den Titel „Vergessene Kindheit“:

Man riss meine Wurzeln
aus dem Land meiner Geburt
Ich verpflanzte sie stolz
ins Land unsrer alten Geschichte
Ich wuchs
und stand fest
und bin Element
Ich reiste in ferne Länder
und sehnte mich nun
nach der neuen Heimat
Nur manchmal in Liedern
spürte ich Sehnsucht
nach Vergangenheit
die ich vergessen wollte


Copyright Lilit Pavell
Allrights reserved to the author
Drawings by Hanan Pavell
Design by J. Kogut
Typesetting by Zafrir Ltd.